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Mit Haut und Haaren

Personalisierte Medizin: Forschung am Institut für Bioengineering (IfB)

Grundsätzlich kann jede Zelle des Körpers in jede andere Zelle umgewandelt werden. Ein bisschen hat dieser Vorgang etwas von moderner Magie. Aber was bedeutet diese Erkenntnis für den Menschen und die Entwicklungen der Medizin? „Stichwort in dem Zusammenhang ist die personalisierte Medizin“, erklärt Prof. Dr. Gerhard Artmann, Forscher an der FH Aachen. Sein Fach- und Forschungsgebiet ist die Zellbiophysik am Institut für Bioengineering.

Für den „Zaubertrank“, der dieses Wunder möglich macht, gab es 2012 den Nobelpreis in Biologie: Der 79-jährige Brite John Gurdon von der Universität Cambridge entdeckte, dass die Entwicklung von bereits spezialisierten Körperzellen umkehrbar ist. Der Japaner Shin’ya Yamanakas arbeitete diese Technik weiter aus. So ersetzte er den Zellkern einer noch unreifen Eizelle eines Frosches durch den einer reifen Darmzelle desselben Tieres.

Erstaunlich war, dass dieser „falsche“ Zellkern sich dennoch zu einer normalen Kaulquappe entwickelte. Somit war bewiesen: Die DNA der reifen Zelle trägt noch die notwendigen Informationen in sich, um alle Zellen in dem Frosch zu entwickeln.

Zellen im Tabula-Rasa-Zustand

Die tatsächliche Leistung besteht nach Artmanns Einschätzung aber in der Identifikation der beteiligten Gene und der gezielten Reprogrammierung der Zellen durch Einfügen neuer Gensequenzen. Diese, aus Körperzellen stammenden, induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) können sich zu allen Zellen des menschlichen Körpers entwickeln. Darin besteht der Kern von Artmanns Forschung, denn auf dieser Grundlage ist es möglich, spezifische Zellen zu „züchten“, um verschiedene Versuche durchzuführen. Bei den Re-Programmierungen von Zellen wird er von dem Co-Autor seines Buches „Stem Cell Engineering“, Prof. Dr. Jürgen Hescheler, unterstützt. Prof. Hescheler ist Direktor des Institutes für Neurophysiologie der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Köln. Teile der praktischen Umsetzung an Zellen werden von der Firma Axiogenesis gewährleistet.

Warum ist solch ein einzigartiges Projekt an der FH Aachen, im Institut für Bioengineering, angesiedelt und nicht an der renommierten Harvard-Universität? „Wir haben es im Institut für Bioengineering, Labor für Zellbiophysik, geschafft, eine hauchdünne Silikonmembran zu entwickeln, die exakt ein fünftausendstel Millimeter dick ist und sechzehn Millimeter im Durchmesser misst. Sie wird in einem Zylinder, der Zellkulturmedium enthält und unten von der Membran verschlossen ist, von unten aufgeblasen wie ein Luftballon. Auf dessen oberer Seite platzieren und kultivieren wir menschliche Herzzellen.“

Ab einer genügend hohen Zelldichte beginnen die Zellen sich zu verbinden und autonom und synchron zu schlagen. So erzeugen sie Druckpulse in der Kammer unterhalb der Membran und verhalten sich, als müssten sie einen Blutkreislauf versorgen. Schnittstelle zu der nobelpreisgekrönten Erfindung der iPS-Zellerzeugung ist die Umwandlung von beispielsweise Haut- oder Haarzellen in einen embryonalen Zustand. Diese werden von Prof. Artmann und den beteiligten Forschern wiederum in Herzzellen umgewandelt.

Passgenaue Patienten-Versorgung

Kultiviert man die Zellen auf den Silikonmembranen, können verschiedene Experimente durchgeführt werden, um die Schlagkraft der Zellen zu bestimmen. Die Palette der Möglichkeiten reicht von Druckerzeugung auf die Zellen, um Bluthochdruck zu simulieren, bis zum Nachweis von Verträglichkeit oder Unverträglichkeit bestimmter Medikamente und zur Dosisfindung.

Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie kann ein Patient die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten? Wenn aus jeder Zelle, egal ob aus Haut oder Haar stammend, jede beliebige Organzelle werden kann, wird das die Medizin revolutionieren. „Tierversuche wären kaum mehr nötig, außerdem wären die Ergebnisse passgenau für jeden Patienten. Was Person A gut tut, kann für Person B komplett falsch sein“, so Artmann. Denn jedes Medikament hat neben der gewünschten Wirkung auch eine Reihe von Nebenwirkungen.

So kann ein Herzmedikament in einer bestimmten Dosis bei Patient A hervorragend gegen Herzrhythmusstörungen helfen, während die gleiche Medikation bei Patient B zu hoch ist und die Leistung des Herzens verringert. Auf diese Weise wäre eine patientenspezifische Anpassung der Medikation möglich.

„Wir haben im Institut für Bioengineering die Technologie entwickelt, die diese Tests möglich macht“, sagt der Professor und zwinkert seinem Doktoranden Matthias Gossmann zu. Er war an der Entwicklung von Cell Drum nicht unbeteiligt. Im Gegenteil, der Nachwuchswissenschaftler hat viel Zeit und Mühe in das spannende Projekt gesteckt und vor allem Geduld bewiesen: „Die Schwierigkeit besteht in der geringen Dicke der Membran, ihrer Beschichtung und ihrer immer wieder gleichen Herstellung mit geringsten Abweichungen in ihren Eigenschaften“, erklärt Gossmann. Schon ein Staubkorn würde während des Herstellungsprozesses ausreichen, um die empfindlichen Membran zu zerstören. So etwas sei vor ein paar Jahren noch Zukunftsmusik gewesen, so Artmann. „Nun hat die Zukunft begonnen“, sagt er und lächelt.