Ulrich Borgstädt
„Wir streben an, unsere Produktion bis 2030 klimapositiv zu gestalten.“
Wie stellt man ein internationales Unternehmen in Zeiten des Klimawandels und kritischer werdenden Kund:innen auf Nachhaltigkeit um? Was hat das für Auswirkungen auf die Finanzstrategie? Und wie nimmt man die Mitarbeiter:innen auf eine solche Reise mit? Ein Interview mit Ulrich Borgstädt, Alumnus des FB 07 Wirtschaftswissenschaften. Seit 2020 ist er Corporate Vice President Group Treasury bei Henkel AG&Co. KGaA, wo er verantwortlich für die Konzernfinanzierung, das Liquiditätsmanagement sowie das Pension Asset- und das Finanzrisiko-Management des Unternehmens ist.
Herr Borgstädt, Sie haben von 2002 bis 2006 an der FH Aachen im deutsch-britischen Wirtschaftsstudiengang DBS AC studiert. Warum fiel Ihre Wahl gerade auf diesen Studiengang?
Das hat mehrere Gründe. Ganz wichtig war mir das Doppeldiplom, das damals ein großes Alleinstellungsmerkmal war. Ein ganz praktischer Grund war zudem, dass ich meine Französischkenntnisse für nicht ausreichend erachtet habe, um den europäischen Wirtschaftsstudiengang mit dem deutsch-französischen Doppelabschluss zu absolvieren. Und außerdem reizte mich der Aufenthalt auf der britischen Insel.
Sie haben nach Ihrem Abschluss eine Stelle bei Henkel angenommen und sind bis heute dem Unternehmen treu geblieben. Waren Sie bereits während des Studiums mit dem Unternehmen in Kontakt?
Ja. Den ersten Kontakt gab es bereits im Jahr 2004. Ich machte dort zunächst ein Praktikum und arbeitete dann als Werkstudent. In dieser Zeit habe ich auch meine Abschlussarbeit geschrieben. Das Value-at-Risk Modell für die Beurteilung des Währungskursrisikos, das ich im Rahmen der Diplomarbeit entwickelt habe, wird übrigens heute noch bei Henkel eingesetzt.
Eine Arbeit, die Jahre überdauert also. Was aus Ihrem Studium können Sie auch immer noch anwenden?
Alles. Ich arbeite, was ich studiert habe. (lacht)
Ich habe den deutsch-britischen Studiengang DBS AC mit dem Schwerpunkt Corporate Finance und Controlling absolviert. Das sind zwei Bereiche, in denen ich bei Henkel schon gearbeitet habe und mit denen ich auch heute noch zu tun habe. Dazu kommen weitere Fachgebiete wie Kostenrechnung, Bilanzierung und Unternehmensbesteuerung. Ohne ein fundiertes Basiswissen in diesem gesamten Themenspektrum ist es meines Erachtens schwierig, eine höhere Führungsposition in einer Finanzorganisation zu übernehmen. Letztendlich werden Entscheidungen ja nie in einem singulären Kontext getroffen. So hat beispielsweise meine Verantwortung als Leiter Group Treasury im Rahmen der Konzernfinanzierung nicht nur direkte Auswirkungen auf unsere Kapitalbeschaffung und Nettofinanzposition, sondern auch auf unser Finanzergebnis und indirekt auch auf das Steuerergebnis und damit auf unsere Gewinn-und-Verlustrechnung. Sie müssen also die Zusammenhänge kennen und auch überblicken können.
Sie haben zahlreiche Stationen im Konzern durchlaufen, waren an mehreren internationalen Standorten in unterschiedlichen Abteilungen und Funktionen tätig. Wie kamen Sie zu diesen verschiedenen Stationen?
Das Unternehmen verfolgt bei der Ausbildung und Förderung seiner Nachwuchs-Führungskräfte die sogenannte "Triple Two"-Philosophie. Dabei durchlaufen angehende Führungskräfte mehrere Stationen und sind dabei in mindestens zwei verschiedenen Rollen, in zwei verschiedenen Geschäftsbereichen und zwei verschiedenen Ländern tätig. Die Grundannahme, die diesem Ansatz zugrunde liegt, ist, dass die Arbeit in verschiedenen Rollen, Geschäftsbereichen und Funktionen gut für die persönliche Entwicklung ist und das Verständnis für Henkel als globales Unternehmen verbessert.
2020 haben Sie Ihre heutige Position als Head of Group Treasury übernommen. Wie sind Sie dort angetreten, und wie haben Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Ihren Weg mitgenommen und sie von Ihren Visionen und Plänen überzeugt?
Das war ein mehrstufiger Prozess. Die ersten Monate waren sehr viel Beobachten, Lernen und Zuhören. Jeder, der etwas Neues übernimmt und sagt, nach acht Wochen wisse er, wie der Hase läuft, der übertreibt. Das kann nicht sein. (lacht)
Während dieser Phase habe ich Ideen und Pläne entwickelt, die es im nächsten Step zu überprüfen galt. Dabei bin ich bewusst den Bottom up-Weg gegangen und habe die Mitarbeitenden befragt, und zwar ziemlich frei. Drei Monate haben kleine Arbeitsgruppen Ideen und Wünsche erarbeitet, die mir und meinem Leadership-Team dann präsentiert wurden.
Diesen Input haben wir mit den Ideen der Führungsebene zusammengebracht und, unterstützt von einer externen Strategieberatung und auch unter Nutzung des externen Netzwerks, in eine sogenannte Roadmap „Treasury Vision 2025“ überführt. Externe Insights sind meines Erachtens in solchen Prozessen wichtig, um nicht zu sehr nur auf die interne Perspektive abzustellen und im eigenen Saft zu schmoren. Außerdem braucht man eine gewisse Objektivierung und auch Strukturierungs-Support. Und da sind insbesondere Kollegen von der Beratung einfach sehr hilfreich. Sie waren zugleich Ideengeber und Challenger, aber auch quasi Dienstleister, der unsere vielen Ideen in eine Form brachte. Daraus ist Ende 2020/Anfang 2021 dieser Leitfaden entstanden, an dem wir uns für die nächsten Jahre orientieren.
Wie definieren Sie Ihre Führungsrolle bei der Erstellung und Umsetzung einer solchen Roadmap?
Ein wichtiger Teil des Leadership ist es, einen roten Faden, eine Vision zu entwickeln, um die Richtung aufzuzeigen, in die es gehen soll. Das macht man nicht autokratisch, aber auch nicht basisdemokratisch. Ich denke, wir haben da einen guten Mittelweg gefunden. Eines ist ganz wichtig: Als Führungskraft musst du kommunizieren, kommunizieren und nochmals kommunizieren.
Eines der ganz großen Ziele des Unternehmens ist, den ökologischen Fußabdruck insbesondere im Verpackungsbereich deutlich zu verkleinern. Was ist das konkrete Ziel?
Wir haben konkrete Ziele in unterschiedlichen Bereichen. Nehmen wir ein Beispiel: Ein großer Teil unseres Geschäfts liegt im Konsumgüterbereich, und da ist – wie sie sagen - Verpackung ein wesentlicher Treiber. Hier setzen wir an, zum einen, um einen USP (Unique Selling Point, d.Red) beim Verbraucher zu erzielen, zum anderen schlichtweg aus Gründen der Nachhaltigkeit. Eines unserer Ziele in diesem Bereich ist, dass bis 2025 alle Henkel-Verpackungen wiederverwendbar und recycelbar sind.
Wie wollen Sie dieses ambitionierte Ziel erreichen?
Unsere Expert:innen denken Verpackungskonzepte gänzlich neu und prüfen darüber hinaus weitere Möglichkeiten zur Entwicklung wiederverwendbarer und nachfüllbarer Verpackungslösungen, die den Wert von Langlebigkeit stärker in den Fokus rücken. Sie arbeiten darüber hinaus auch an der Optimierung von Transportverpackungen und der dazugehörigen Logistik.
Was hat die Finanzabteilung damit zu tun?
Das Thema Nachhaltigkeit spielt für die Finanzabteilung eine immer wichtigere Rolle und wir haben uns klar zum Ziel gemacht, hier eine führende Rolle zu spielen. So haben wir im Bereich Sustainable Finance frühzeitig innovative Lösungen umgesetzt. 2018 haben wir als erstes Unternehmen in Deutschland und weltweit in unserer Branche eine „grüne Kreditlinie“ abgeschlossen, die Zinskonditionen mit Nachhaltigkeitskriterien verbindet. 2020 haben wir eine zweckgebundene Anleihe, einen sogenannten „Plastic Waste Reduction Bond“, in Höhe von rund 100 Millionen Dollar aufgenommen. Zweckbindung heißt in diesem Fall, dass die aufgenommenen Beträge nur in Projekte investiert werden dürfen, die der Reduzierung von Plastikabfall dienen. Diese Anleihe haben wir im Rahmen eines sogenannten Private Placements (nicht-öffentliche Emission von Vermögensgegenständen, d.Red.) aufgenommen, bei dem wir spezielle Investoren gezielt angesprochen haben.
Haben Sie danach noch weitere Schritte unternommen?
2021 haben wir weitere, deutlich größere Anleihen begeben, diesmal am Kapitalmarkt mit einer breiten Investorenbasis. Diese Anleihen sind zwar nicht zweckgebunden bezüglich der Verwendung des aufgenommenen Kapitals, jedoch sind die zu zahlenden Zinsen gebunden an die Erreichung bestimmter Nachhaltigkeitsziele. Man nennt diese Art der Anleihen „Sustainability-Linked Bonds“. Die von Henkel verwendeten Nachhaltigkeitsziele beziehen sich auf unsere angestrebte CO2-Reduktion und die Erhöhung der Recyclingquote. Erreichen wir diese Ziele nicht, hat das negative Auswirkungen auf die Zinslast, die wir zahlen müssen.
Was ist die große Idee, die hinter all den Maßnahmen steht?
Zum einen zeigt es, dass wir bei Henkel das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich denken und alle Bereiche im Unternehmen ihren Beitrag leisten. Insgesamt streben wir an, unsere gesamte Produktion bis 2030 klimapositiv zu gestalten. Und das meinen wir ohne Offsets und Kompensationen.
Wo sehen Sie die Grenze zwischen echter Nachhaltigkeit und Greenwashing?
Greenwashing bedeutet ja letztendlich, den Eindruck zu erwecken, im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement etwas zu tun, was nicht den Tatsachen entspricht. Wir arbeiten als Finanzabteilung sehr eng mit unseren Kollegen aus dem Sustainability Management zusammen, um zu jederzeit sicher zu stellen, dass dies nicht passiert. Jede Aktivität im Bereich Green Finance muss klar belegen können, dass sie einen Mehrwert im Bereich Nachhaltigkeit bietet. Unsere formulierten Ziele sind extern validiert und entsprechen den ambitioniertesten Zielen, die zurzeit weltweit in unserem Bereich angestrebt werden.
War Nachhaltigkeit – Green Finance – während Ihrer Studienzeit schon ein Thema?
Als ich 2006 meinen Abschluss an der FH Aachen gemacht habe, war das, ehrlich gesagt, noch kein wirklich wahrnehmbares Thema. Wenn ich sehe, wie Henkel und auch viele andere Unternehmen heute auf dem Gebiet Nachhaltigkeit arbeiten, dann umfasst das alle Abteilungen. Das ist ein ganz anderer Spirit als vor 15 Jahren.
Datum: Juni 2022