Der schönste Arbeitsplatz der Welt
FH-Absolvent Markus Wilmers baut Fassaden für Wolkenkratzer
Mehr als 300 Meter Höhe misst der neue Tower mit der Adresse 9 Dekalb Avenue, er wird nach seiner Fertigstellung das höchste Gebäude im New Yorker Stadtteil Brooklyn sein. Markus Wilmers besucht die Baustelle mindestens einmal wöchentlich, der Chef des New Yorker Unternehmens MW-Skins ist verantwortlich für den Bau der Fassade des neuen Wolkenkratzers. Im Gespräch erzählt der 44-jährige Architekt, wie er den Weg aus einem Dreißig-Einwohner-Dorf im Sauerland in ein Büro (sein Büro!) in Downtown Manhattan geschafft hat – und welche Rolle sein Studium an der FH Aachen dabei spielte.
Zuerst nahm Markus Wilmers ein Studium des Bauingenieurwesens auf. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich ist.“ Der Fachbereich Architektur war auch damals im gleichen Gebäude an der Bayernallee untergebracht, und der junge Student liebäugelte mit einem Studiengangwechsel – was ihm spöttische Kommentare seiner Kommilitonen einbrachte: „Was willst du denn mit Architektur später machen? Wolkenkratzer in New York bauen?“ Zum Beispiel, ja.
Aber der Weg über den großen Teich war nicht einfach. Während seines Studiums wollte er ein Semester in New York verbringen, um ein Praktikum in einem Architekturbüro zu absolvieren. „Der Plan war, dass ich mein Auto und mein Motorrad verkaufe, um das Auslandssemester finanzieren zu können“, erzählt er. Doch das Auto brannte ab, das Motorrad wurde gestohlen, die Kasse war leer – und der Plan ließ sich nicht umsetzen. Vorerst. Ein zweiter Anlauf klappte, auch dank der guten Kontakte, die er schon während seines FH-Studiums aufgebaut hatte. In New York sammelte er Material, das er für seine Diplomarbeit nutzte; es ging um die temporäre Nutzung von Dächern, etwa für Gärten oder für Filmaufführungen.
Aus Aachen nach New York
2008 schloss Markus Wilmers sein Architekturstudium an der FH mit dem Diplom ab. Er erinnert sich: „Die Absolventenfeier fiel auf meinen Geburtstag. Am Tag danach habe ich angefangen, Bewerbungen zu schreiben, und zwei Wochen später hatte ich meinen ersten Job in New York.“ Doch auch dieser Anlauf war nicht von Erfolg gekrönt: Die Finanzkrise war in den USA vor allem eine Immobilienkrise, entsprechend schlecht war die Lage in der Baubranche. Und so fand der junge Architekt sich nach einigen Monaten in der Arbeitslosigkeit wieder. „Die Lebenshaltungskosten in New York sind sehr hoch, ich konnte mir das nicht mehr leisten. Also bin ich zurück nach Deutschland gegangen, um auf dem Bau zu arbeiten und Geld zu verdienen.“
Ein paar Monate später unternahm er den nächsten Anlauf, und diesmal war das Glück auf seiner Seite: „Ich habe direkt ein gutes Jobangebot von einem Stuttgarter Ingenieurbüro bekommen, das eine Niederlassung in New York hat und auf den Bau von Fassaden spezialisiert ist“, berichtet er. Das war 2009. Insgesamt zehn Jahre lang arbeitete der heute 44-Jährige für unterschiedliche Baufirmen, bevor er 2019 sein eigenes Büro gründete. Inzwischen hat MW-Skins vier Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte, der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von herausfordernden und technisch anspruchsvollen Lösungen für Gebäudefassaden.
Die Herausforderung, die bei der Konstruktion von Fassaden besteht, lässt sich mit einem Vergleich auf den Punkt bringen: So wie die Haut als das größte Organ des menschlichen Körpers lebenswichtige Aufgaben erfüllt, ist auch die Fassade eines Gebäudes weit mehr als schmückendes Beiwerk. Über die „Außenhaut“ werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Inneren reguliert, sie dient als Schutz, ist wesentlicher Teil der technischen Gebäudeausstattung und sorgt nicht zuletzt dafür, dass ein Gebäude umweltfreundlich betrieben werden kann. Das ist schon bei einem Einfamilienhaus eine anspruchsvolle Aufgabe – und erst recht bei Skyscrapern, die mehrere Hundert Meter hoch sind. In der Planungsphase wird vieles am Computer modelliert, bei hohen Gebäuden werden zudem Tests mit kleinen Modellen der Häuser und ihrer Umgebung im Windkanal gemacht, etwa wenn es um Windlast und Anströmung geht. „Bei komplexen Projekten bauen wir zu Beginn Mock-ups“, erläutert Wilmers. Das sind Modelle im Maßstab 1 : 1, anhand derer die Optik („visual mock-ups“) und die Funktion („performance mock-ups“) der Fassade geprüft werden. Untersucht wird, wie die Gebäudehaut mit Druckschwankungen sowie Witterungseinflüssen umgehen kann.
Energieeffizienz als Herausforderung
„Unsere Aufgaben in einem Projekt können ganz unterschiedlich sein“, erklärt Markus Wilmers, neben der Fassadenentwicklung für Großprojekte kümmert MW-Skins sich auch um Bauüberwachung und Mängelbehebung. Ein weiteres Geschäftsfeld wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen. „Ab 2025 gelten in New York strengere Richtlinien bezüglich der Energieeffizienz von Gebäuden“, berichtet Wilmers. Das bedeutet, dass Fassaden in großem Maßstab saniert werden müssen. Generell spielt der Einsatz innovativer Materialien und moderner Prozesse im Fassadenbau eine entscheidende Rolle. „Wir sitzen hier in New York mitten unter den weltbesten Architekten“, sagt Markus Wilmers. Die Welt des Fassadendesigns sei klein, das Netzwerk sei mithin eng geknüpft.
„Ideal ist es natürlich, wenn wir eine Fassade schon in der Konzeptphase gemeinsam mit dem verantwortlichen Architekten und dem Bauherrn entwickeln können“, betont er. Dann können Form und Funktion eine harmonische Verbindung eingehen – so wie bei dem neuen Tower in Brooklyn, bei dem MW-Skins eng mit SHoP Architects und JDS Developments zusammenarbeitet. An der Dekalb Avenue etwa setzt sich die Fassade aus unterschiedlichen Formen, Farben und Materialien zusammen, damit der neue Bau nicht nur gebäudetechnisch „state of the art“ ist, sondern auch ästhetisch in die Umgebung Brooklyns hineinpasst. Die Augen von Markus Wilmers funkeln, wenn er von dem Projekt erzählt. Er muss dann auch wieder los, zu seiner Baustelle in mehreren Hundert Metern Höhe, mit Blick auf die Skyline von Manhattan.
Text: Arnd Gottschalk